In Kolkata sollte ich zwei Reisende kennen lernen, mit denen ich die Abende bei Bier und … auf der Dachterrasse unserer „modernen“ Lodge verbrachte. Dabei kam uns die Idee in die Sundarbans zu fahren.
Das sind die größten Mangrovenwälder der Welt. Hier gibt es einen Nationalpark, der unser Ziel sein sollte. Ich wollte dies schon seit Jahren machen aber das sollte bis jetzt nicht klappen, da ich keine Lust auf eine organisierte Tour von Kolkata aus hatte.
Mit Sörn und Keren sah das gleich viel besser aus. Angeblich kann man nur mit organisierten Touren diese Gegend bereisen. So schwärmten wir in Kolkata aus um Informationen für die Anreise zu sammeln. Das sollte schwieriger werden als gedacht. Natürlich gab uns keiner Informationen, da sie alle Touren verkaufen wollten. Oder die Informationen beschränkten sich darauf, dass man kein Permit vor Ort bekam und es keine öffentlichen Transportmittel dahin gibt. Das konnte ich mir in Indien nicht vorstellen. Überall wo es Menschen gibt, gibt es auch Wege dahin zu gelangen. Immerhin fand ich eine gute Karte über die Region und auch OpenStreetMap und na klar das Internet sollten uns weiterhelfen. Nach unserer Recherche war klar, es gibt mehrere Orte am Rande der Sundarbans und auch einige Inseln mitten im Delta waren bewohnt. Es sollte auch ein paar kleinere Hotels in der Region geben. So mussten wir nur noch in Erfahrung bringen, wo es einen Bus in diese Richtung gibt. Das sollte sehr chaotisch werden.
Wir brauchten mehrere Anläufe um den richtigen Bus-Stand in Kolkata zu finden. Endlich am richtigen Platz standen wir immer noch blöd da. Wir konnten die Ziele an den Bussen natürlich nicht lesen und irgendwie verstand keiner, wo wir hinwollen. Nach gefühlten Ewigkeiten fanden wir dann doch einen Bus der uns nach Sonakhali/Basanti bringen wollte. Es dauerte dann ewig bis wir das Chaos der Stadt hinter uns ließen. Aber wir hatten uns zu früh gefreut. Irgendwann nach ein bis zwei Stunden hielt der Bus in einem kleinen Ort und wir durften aussteigen. Wir waren zwar auf dem richtigen Weg aber hier war Endstation für unseren Bus. So mussten wir uns einen neuen Bus suchen. Wir hatten Glück, der Ort war nett und seine Bewohner hilfsbereit. So saßen wir schnell im nächsten Bus. Wir erreichten irgendwann Sonakhali, das sollte aber noch nicht unser Ziel sein. Immerhin waren wir mittlerweile am Rande der Sundarbans. Das merkten wir schon daran, dass wir permanent am Überqueren von Wasserwegen waren. Die ländliche Idylle nach ein paar Tagen Kolkata sollte ein Traum sein. Endlich mal wieder tief einatmen. Was hatte ich saubere Luft vermisst.
Die Sundarbans die größten zusammenhängenden Mangrovenwälder der Welt erstrecken sich über 10000 Quadratkilometer im größten Flussdelta der Welt, dem Ganges-Delta. Hier münden die größten Flüsse Südasiens: Ganges, Brahmaputra, Meghna u.a. im Golf von Bengalen. Der größte Teil der schönen Wälder, wie Sundarban auf Bengalisch heißt, liegt dabei in Bangladesch.
Es ging dann weiter nach Gadkhali mit einer Art Rikscha. Diese Rikschas sollten in dieser Region die einzigen Transportmittel sein. In Gadkhali, einem Ort der nur aus ein paar Häusern bestand, endete dann die Straße und wir standen blöd vor einem großen Fluss. Jetzt hieß es wirklich das Festland, wenn man das hier noch so bezeichnen kann, da wir sowieso schon die letzten Kilometer mehr Wasser als Festland gesehen haben, zu verlassen. Die einzigen englisch sprechenden Menschen hier wollten uns bloß Touren mit ihren Booten verkaufen. Doch nach einer Weile entdeckten wir ein paar hundert Meter weiter einen Steg an dem eine öffentliche „Fähre“ zur anderen Flussseite verkehrt. Für den unschlagbaren Preis von einer Rupie (1,4 Cent) ging es dann nach Gosaba.
Das ist eine der vielen Inseln des Deltas und die letzte Bewohnte bevor die dichten Mangrovenwälder beginnen. Im gleichnamigen Ort sollten wir uns nicht lange aufhalten. Während eines kleinen Snacks lernten wir den Besitzer eines kleinen Hotels kennen. So ging es mit Ihm und einer dieser Rikschas weiter nach Pakhirala. Ein noch kleinerer Ort auf der anderen Seite der Insel. Hier sollten wir dann nur wenige Kilometer Wasserweg vom Nationalpark entfernt sein. Die Fahrt durch diese idyllische Landschaft war holprig aber wunderschön. Es gibt hier keine wirklich befestigten Straßen, der Weg führt über Dämme und wilde Feldwege. Für die vielleicht 8 km brauchen wir fast eine Stunde.
Kleine Hütten meist aus Lehm und strohgedeckt säumen unseren Weg. Ansonsten gibt es viele Felder und unzählige kleine und große Teiche zu sehen. Da das Grundwasser hier salzig ist fangen sie das Regenwasser in den Teichen auf und ziehen nebenbei noch Fische darin auf. Die Einheimischen sind zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs. Kein chaotischer Verkehr und Lärm, die laute hektische Stadt war weit weg. So erreichen wir am späten Nachmittag unsere Basis der nächsten Tage. Da haben wir am Ende mal schnell 8-10 Stunden für die knapp über 100 Kilometer gebraucht. Wahnsinn. Aber es war, bis auf die chaotische Bussuche in Kolkata, ein schöner und vor allem abwechslungsreicher Trip auf dem wir viel gesehen haben.
Am Ende landen wir in einem wunderschönen kleinen Dorf. Es gibt ein paar kleinere Hotels und wir scheinen die einzigen potentiellen Gäste zu sein. So war nicht nur unsere Anreise äußerst günstig (vielleicht 2 € für alles) sondern wir bekommen Zimmer für einen unschlagbaren Preis. Natürlich gibt es hier außer ein paar kleinen Chai-Shops mit Sweets keine Restaurants. So bekommen wir exzellentes Essen von der Mama des Guest Houses.
Der Besitzer der Avinandan Cottage (unsere Unterkunft + empfehlenswert) besorgt uns am Abend ein paar Flaschen indischen Whiskys und schleppt uns dann die Bootsbesitzer für Ausflüge ins Haus. Das war klar und wir wollen Touren im Nationalpark machen. So lässt es sich bei ein paar Drinks gut verhandeln. Leider ist es nicht möglich Mehrtagestouren im Park zu unternehmen. Es gibt keine Chance auf den Booten innerhalb des Parks zu schlafen. So beschließen wir am nächsten Morgen einen Tagestrip zu den Bengalischen Tigern zu unternehmen.
Die Sundarbans sind wie schon gesagt die größten Mangrovenwälder der Erde. Hier gibt es rund 30 verschiedene Arten von Mangroven. Laut UNESCO stellen die Sundarbans eines der biologisch produktivsten Ökosysteme unseres Planeten dar. Auch aus diesem Grund wurde der Nationalpark innerhalb der Sundarbans zum Weltnaturerbe erklärt. Die Mangrovenwälder werden von kleinen und großen Flüssen, Kanälen, Bächen und Rinnsalen durchzogen. Aufgrund der Gezeiten, Zyklone und den Wassermassen des Monsuns findet hier ein ständiger landschaftlicher Wandel statt. So verschwindet Land und gleichzeitig entsteht es wieder an anderer Stelle. Die Wälder bilden hier einen natürlichen Schutzwall gegen die heranziehenden tropischen Zyklone. Durch die ständig wechselnde Landschaft und die klimatischen Bedingungen sind die Sundarbans sehr dünn besiedelt. Dennoch gibt es kleine Dörfer, deren Bewohner hauptsächlich vom Fischfang und dem Honigsammeln leben.
Hier in den Mangrovenwäldern lebt die größte Tigerpopulation der Welt. Man schätzt, dass zwischen 350 und 400 Bengalische Tiger hier leben. Diese durchstreifen die Wälder und schwimmen durch die unzähligen Kanäle des Deltas. Normalerweise sind diese sehr scheu und selten zu sichten. Aber etwa 100 Menschen werden jährlich in den Sundarbans von Tigern gefressen. Dies betrifft vor allem die Honigsammler in den Wäldern, aber gelegentlich verirrt sich auch mal ein Tiger in ein Dorf. Man hat uns erzählt, dass zum Beispiel in unserem Dorf vor ein paar Monate ein Tiger gesichtet wurde. Durch die vielen Menschenleichen, die die Inder in den Flüssen auf die letzte Reise schicken, gelangen diese in das Delta. So sind die Tiger auf den Geschmack von Menschenfleisch gekommen, eigentlich nicht ihre Nahrung. Das Ökosystem hat neben Tigern und Mangroven eine sehr vielfältige Tier-Und Pflanzenwelt zu bieten. Wie zum Beispiel Krokodile, Wildschweine, große Bindenwarane, Axishirsche, Pythons, Affen unzählige Vogelarten und….
Unser Wunsch war es natürlich einen Tiger in den Sundarbans zu sehen aber wir machten uns nicht allzu große Hoffnungen. Am nächsten Morgen hieß es früh aufstehen um viel Zeit im Mangroven-Dschungel zu verbringen. Zu unserer Überraschung wartete ein großes Boot auf uns, da hätten wir auch mit zwanzig Mann noch bequem Platz gefunden. Die Bootscrew bestand aus zwei Mann. Diese waren uns am Morgen viel zu träge. Wir waren sieben Uhr startklar aber unsere Crew brauchte gefühlte Stunden bis wir uns in Richtung Nationalpark bewegten. Da hätten wir gut ein bis zwei Stunde länger schlafen können. Alles mit der Ruhe war das Motto. Das erste Ziel sollte das Office des Parks sein. Wir brauchten Permits und einen Guide. Natürlich auch wenn man uns in Kolkata etwas anderes erzählen wollte, sollten wir hier alles bekommen.
Nach dem ganzen Papierkram und dem Bezahlen der Gebühren stellte sich unser Guide vor. Der sollte der Kracher werden. Immerhin hatten wir jetzt jemanden der etwas Englisch sprach. Schon bei seiner Vorstellung konnten wir uns kaum noch vor Lachen halten. Ein älterer Herr mit dem typischen Indisch-Englischen. Der fing auch gleich an sein Programm runterzuleiern und konnte nicht mehr aufhören zureden. Hier am Office gab es ein paar Informationstafel über den Park, eine Aussichtsplattform und eine Art kleinen Zoo. Wir kletterten auf die Plattform aber die Aussicht war nicht die Mühen wert. Nach einem kurzen Blick auf die Info-Tafeln sollte die Bootstour losgehen. Aber unser Guide wollte uns jetzt unbedingt in diesen kleinen Zoo führen, wir dagegen wollten endlich mit dem Boot los. Nach langer Diskussion hatte er es endlich kapiert, das wir hier sind um mit dem Boot die Sundarbans zu entdecken.
So sollten wir die nächsten Stunden durch das Labyrinth von kleinen und großen Kanälen schippern. Soweit das Auge reichte waren nur Mangroven und Mangroven und Wasser zu sehen. Aber die ersten Tiere sollten sich zeigen. Vor allem für Vogelliebhaber ist es ein Paradies. Unzählige Vögel waren zu sehen, ob Eisvögel, Reiher, Störche, Adler, Spechte …
Unser Guide hatte ein gutes Auge für die Natur und konnte uns viel zeigen. Aber sobald er anfing zu reden, wollten wir flüchten. Er leierte ein so einstudiertes Programm herunter, alles klang wie aus einem Lexikon vorgelesen. Aber unsere Fragen konnte er meist nicht beantworten. Wir waren sehr schnell genervt von ihm bzw. seiner Art zu reden. Ansonsten war die Fahrt wunderschön. Überall die Mangrovenwälder die durchzogen werden von den unzähligen Wasserwegen jeglicher Größe. Wir sollten während des ganzen Tages nur drei andere Boote zu Gesicht bekommen. So hatten wir gefühlt den ganzen Dschungel für uns.
Leider hatten wir mit dem Wetter nicht so viel Glück. Die Sonne wollte sich nicht zeigen. Es war den ganzen Tag grau und sogar von Regen wurden wir nicht verschont. Mit den Tigern war das wie mit der Sonne-einfach nicht zusehen.  Als wir unseren Guide nach seinen Tigerbeobachtungen fragten, wussten wir nicht, was wir davon halten sollen. Er arbeitet seit 25 Jahren als Guide hier und hat noch nie einen Tiger zusehen bekommen. Naja da hatten wir wohl den Tigerexperten in Person an Bord. Dafür viel gab es Warane, Affen, Hirsche und  wie schon gesagt eine großartige Vogelwelt zu sehen.
Am Ende war es auch ohne einen Tiger gesehen zu haben eine tolle Bootsfahrt. Mit unserem Guide konnten wir uns arrangieren und hatten im Nachhinein viel zu lachen.
Wir blieben noch zwei Nächte in unserem Dorf und genossen das ländliche Indien. Die Einheimischen haben hier ein hartes Leben auf dem Land. Die Natur der Sundarbans macht es ihnen nicht leicht mit seinen wandelnden Landschaften und den regelmäßigen Überschwemmungen. Trotz der schwierigen Lebensverhältnisse, der Armut haben die Menschen hier eine Schönheit ausgestrahlt wie ich sie lange nicht in Indien erlebt habe. Ich werde sicher nochmal zurückkommen.
Unsere Rückreise gestaltete sich dann etwas einfacher. Mit Rikscha und Fähre ging es auf das Festland, wo wir direkt einen Bus bekamen. Aber auch dieser Bus sollte uns wiedermal in einem uns fremden Ort abwerfen. Dafür hatten wir das Glück an einer Bahnstrecke zu landen. Mit einem Local-Zug ging es dann bequem nach Kolkata zurück.
Der erfolglose Versuch Tiger zu sichten, sollte mich dann zu einem neuen Reiseziel führen. Ich wollte jetzt ein paar Nationalparks in Zentralindien besuchen. Mit Erfolg, wie ihr beim nächsten Mal sehen/lesen könnt.