Nach der Reise durch die Mangrovenwälder der Sundarbans hatte mich das Wildlife-Fieber gepackt. Ich bin auf den Tiger gekommen und wollte jetzt diese unbedingt zu Gesicht bekommen. So beschloss ich nach Madhya Pradesh in Zentralindien zu reisen. Irgendwie bin ich auf meinen vielen Indienreisen immer an dieser Region vorbeigereist. Das sollte anders werden. Madhya Pradesh ist vor allem für seine Nationalparks und die erotischen Tempel von Khajuraho bekannt.So sollte ich eines Abends am wie immer chaotisch überfüllten Howrah-Bahnhof von Kolkata einen Zug besteigen. Zugfahrten in Indien sind ja immer wieder ein Traum. Zu mindestens wenn man einen Platz bzw. ein Bett hat. Ich hatte Glück und habe kurzfristig ein Ticket für die 22-stündige Fahrt nach Jabalpur bekommen. Anfangs war ich mit einem älteren Herrn und dessen Sohn allein in unserem Abteil. Das änderte sich aber schnell während der Fahrt. Der Sohn sollte während der Fahrt leider der einzige Mitfahrer sein, der ein wenig englisch sprach. Die eigentlich lange Fahrt verging wie im Fluge. Schlafen, die vorbeiziehende Landschaft genießen, das wie immer verrückte Treiben der Inder verfolgen und sich verwöhnen lassen von den vielen Händlern mit ihren köstlichen Snacks und Chais und…
So erreichte ich Jabalpur, eine typische indische Stadt. Viele Menschen, staubige Straßen, an jeder Ecke ein Markt und viel Lärm. Eigentlich eine Millionenstadt aber irgendwie kam sie mir doch sehr provinziell vor. Die Stadt ist nicht wirklich ein Touristenmagnet und ich sollte sofort auffallen. Hier wollte ich eigentlich nur ein paar Informationen sammeln über die Nationalparks der Region und dann direkt weiterreisen. Es kam wieder mal anders. Ich machte hier die Bekanntschaft von zwei jungen Indern. So war ich mit meinen neuen Freunden und ihren Motorrädern die nächsten Tage unterwegs. Sie zeigten mir voller Stolz ihre Stadt und die Umgebung. Wir hatten tolle Gespräche, sie halfen mir beim Organisieren und ich wurde in die Elternhäuser mitgeschleppt. Dort wurde ich von den Müttern mit köstlichen Speisen verwöhnt. Der Vater von Divyam ist ein Priester und so kam man sich im Haus wie in einem Tempel vor. Wahrscheinlich gibt es hier jeden Tag unzählige Pujas. Ob stille Gebete, Räucherungen oder große Zeremonien, es passierte immer etwas. Mit meinen zwei neuen Freunden sollte ich auch nach meiner Abreise in Kontakt bleiben.Ich wollte ursprünglich in den Bandhavgarh National Park aber mir wurde schon in Jabalpur gesagt das dieser Park über Monate ausgebucht ist. So fiel meine Wahl auf den Kanha National Park. Eine sechsstündige Busfahrt von Jabalpur entfernt. Also kein Problem dachte ich. Aber wo und wann fahren Busse zum Khatiya-Tor, dem Eingang zum Park. Trotz der Hilfe meiner Freunde dauerte es Stunden um ein paar Infos zu bekommen. Da haben sie einen neuen riesigen überdimensionierten Busbahnhof weit außerhalb der Stadt gebaut aber kein Mensch kennt bzw. benutzt diesen. Die Busse fahren alle von hier fast leer ab um dann zum alten Bus Stand quer durch die City zu fahren um die Fahrgäste aufzulesen. Das ist doch mal wieder der indische Wahnsinn. An diesem riesigen Busbahnhof bekomme ich keine Infos, niemand weiß hier etwas –alle sitzen nur ihre Zeit ab.Ich sitze dann doch eines Morgens in einem klapprigen Bus in Richtung Nationalpark und eine holprig staubige Tortur beginnt. An staubige Schlaglochpisten kann man sich gewöhnen dachte ich. Aber diese Fahrt ist mal wieder etwas Besonderes. Ich habe wenn überhaupt dann schon lange nicht so viel Staub gefressen. Irgendwann musste ich mich mit Tüchern vollkommen vermummen um die Fahrt zu überstehen. Alles im Bus war am Ende von einer zentimeterdicken Staubschicht bedeckt. Lustig war es zu mindestens am Ende, als alle Inder plötzlich graue Haare und nicht nur das hatten.
Wie sollte es auch anders sein, musste ich nach der Hälfte der Fahrt außerdem den Bus wechseln, so viel zum Thema Direktbus. Die Straßen wurden leider nicht gewechselt.Eine Dusche war nach der Ankunft das Schönste was passieren konnte. Im kleinen Dorf vor dem Park sollte ich mich für die nächsten Tage niederlassen.
Das kleine Dorf im zentralindischen Hochland ist schon allein die Reise wert. Es ist hier im April trocken und staubig aber nicht so heiß wie an anderen Orten um diese Zeit. Am Morgen ist es sogar recht kühl wie ich bei den morgendlichen Safaris feststellen durfte. Das Dorf grenzt direkt an den Park und ist umgeben von schönen Wäldern und ein paar Feldern. Die wunderschönen meist in blau und weiß gestrichenen Lehmhütten der Einheimischen passen perfekt in die Landschaft. Ich unternahm in den nächsten Tagen einige Wanderungen in der Umgebung. Dabei überrascht mich die Tiervielfalt schon in der Nähe des Parks. In den Wäldern sollte ich die ersten Hirsche, Affen und Pfauen zu Gesicht bekommen. Die großen uralten Bäume spenden den tagsüber nötigen Schatten und viele Vogelarten tummeln sich hier.Das Organisieren der Safaris sollte anfangs nicht so einfach sein. Der einfachste Weg ist eigentlich online das Permit zu buchen. Das wird mir schon so in Jabalpur im Touristenbüro gesagt. Aber wie so oft in Indien(z.B. Bahntickets) benötigt man dafür ein indisches Bankkonto. Das ist wieder „fantastisch“, als ausländischer Besucher ist man gearscht. Man kann auch Permits am Eingang zum Park bekommen. Diese kosten dann gleich mal das Doppelte und es gibt dort nur eine begrenzte Anzahl an Tickets. Um diese zu bekommen muss man sich mindestens eine Stunde vor Öffnung des Park-Office anstellen und sich dann mit den indischen Touristen darum streiten. Ich sollte Glück haben und auf diesem Wege ein Permit für eine Tour erkämpfen. Mein Plan sollte sein im Dorf eine Unterkunft zu beziehen, die für mich online die Tickets buchen kann. Damit hatte ich auch Erfolg. Ich bekam ein gutes und auch preiswertes Zimmer in der Nähe des Parkeinganges und der Besitzer buchte für mich. Da es in meiner Zeitspanne online nur noch 3 freie Touren gab, musste ich halt am Office für ein Viertes kämpfen.Das Schwierige für mich, da allein unterwegs, war jeweils vor den Touren einen Platz in einem Jeep zu bekommen. Das sollten anfangs die Park-Officer erledigen und packten mich zu indischen Touristen, die einen englisch-sprechenden Ranger dabei hatten. Das war nicht immer perfekt. Ich sollte dann vor meiner dritten Tour in den Park zwei junge indische Fotografen kennenlernen. Dies war ein richtiger Glücksgriff, da ich ab jetzt mit Leuten unterwegs war, die etwas vom Park und seiner vielfältigen Tierwelt sehen wollten. Vorher ist mein Jeep immer nur wild durch den Park gerast um unbedingt den Besuchern Tiger zu präsentieren. Das hat zwar funktioniert und ich konnte schon auf meiner ersten Tour für wenige Augenblicke einen Tiger im dichten Grasland sehen. Aber alle anderen interessanten Tiere wurden ignoriert um für Sekunden einen Tiger durchs Gras schleichen zu sehen. Ich wollte den Park als Ganzes genießen und das sollte perfekt werden mit den Fotografen.So ging es für mich dreimal am Morgen zum Sonnenaufgang und einmal am Nachmittag bis zum Sonnenuntergang in den Kanha National Park. Vor allem die morgendlichen Touren waren fantastisch. Es war zwar auf den offenen Jeeps saukalt bis sich die Sonne hoch gekämpft hatte, aber dafür konnte man wesentlich mehr vom Park sehen. Die Touren am Morgen gehen länger und man kommt tiefer in den Park hinein, außerdem ist die Chance möglichst viele Tiere zu sichten wohl am Morgen höher. Mir ging es jedenfalls so.Schon wenige Meter nach dem Eingang begegnet man den ersten grasenden Rehen und Hirschen, Affen kreuzen unseren Weg und Pfauen sitzen am Rande der Piste. Langsam geht die Sonne auf und der Park erstrahlt in einem bezaubernden Licht. Die Landschaft ist geprägt von Hügelketten, Tälern und Hochplateaus. Während meiner Touren bin ich in zwei verschiedenen Gebieten innerhalb des Parks unterwegs, die sich landschaftlich und auch hinsichtlich der Tierwelt sehr ähnlich sind. Große Sal- und Laubwälder und ausgedehnte Graslandschaften wechseln sich ab. Die schönen Wälder, Wiesen und Wasserstellen sind voller Wildlife, das hatte ich so nicht erwartet. Eigentlich ist es trocken und staubig umso mehr bin ich überrascht wie grün die Bäume, der Park sind. Es kommt schon ein bisschen Dschungelfeeling auf und irgendwie könnte man im Dschungelbuch gelandet sein.Kanha ist bekannt für seine großen Säugetiere. Es gibt eine große Tigerpopulation, Leoparden, Indische Bisons(Gaur), Lippenbären, mehrere Hirsch- und Antilopenarten, Schakale, Füchse, Wildschweine, Affen(Languren)….  und auch über 300 Vogelarten.Meine zwei besten Touren hatte ich mit den zwei jungen Fotografen. Wir haben uns nicht den anderen Jeeps auf der Jagd nach Tigern angeschlossen sondern haben uns Zeit für alle schönen Motive gelassen. So hatten wir ein großes Gebiet innerhalb des Parks für uns. Wir hatten einen fantastischen Ranger, der ein sehr gutes Gespür für die Tierwelt hat. Durch die Warnrufe anderer Tiere wurden wir angelockt und entdeckten gleich eine frische Tigerspur. Es war auf einer kleinen Anhöhe mit Blick auf Grasland und ein Waldstück. Da es auf der Wiese vor uns ein paar schöne Hirsche zu beobachten gab, verweilten wir einen Moment hier. Und siehe da ein Tiger schleicht sich aus dem Wald. Im hohen Gras versucht er sich an die Hirsche heranzupirschen. Diese spüren die Gefahr aber scheinen sich anfangs nicht zu stören. Sie scheinen genau zu wissen wann sie flüchten müssen. Ja wir werden leider nicht zu Zeugen des Jagderfolges, da die Hirsche rechtzeitig die Flucht antreten. Unser Glück hält aber trotzdem an. Der Tiger schleicht für längere Zeit durch das Grasland und bewegt sich dann direkt in unsere Richtung. Wir können es kaum glauben das er, wie unser Ranger uns später erklärt ist es eine sie, nur zwei drei Meter vor unserem Jeep den Weg überquert. Sie scheint sich überhaupt nicht an unserer Anwesenheit zu stören. In aller Ruhe mit geschmeidigen eleganten Bewegungen verschwindet sie nach einer Weile im Dickicht des Waldes. Wahnsinn, da konnten wir fast 20 Minuten das Tigerweibchen bewundern. Wir können unser Glück kaum fassen. Es geht dann weiter so. Wir fahren nur ein paar Kilometer und ein Lippenbär kreuzt unseren Weg. Auch diese sind nicht so oft zu sehen. Im Laufe der Tour sollten uns noch zahlreiche Tiere über den Weg laufen. Am späten Nachmittag haben wir erneut Glück mit einer Tigersichtung. Diesmal teilen wir uns den Tiger mit fünf anderen Jeeps. Während der Touren sollte ich noch viele andere Tiere aus nächster Nähe bestaunen. Ob Hirsche, Antilopen, Bisons, Affen, Schakale, Wildschweine, tanzende balzende Pfauen und viele andere Vögel. Nach drei Tagen im netten Dorf am Rande des Nationalparks geht meine Reise weiter. Der Kanha-National-Park hat meine Erwartungen weit übertroffen. Das ist wahrscheinlich der großartigste Nationalpark Indiens. Ich habe im Laufe der Jahre schon viele gesehen aber so beeindruckt hat mich noch keiner. Ob die landschaftliche Schönheit, die Tiervielfalt, die Organisation des Parks aber auch die Hilfsbereitschaft der Ranger bzw. Park-Officer-alles hat mich überzeugt.