Streetart in Kolkata

Meine Ankunft sollte mal wieder zur unmöglichsten Zeit erfolgen. Mitten in der Nacht landete ich in Kolkata. Dazu gab es keinen ATM für ausländische Karten auf dem Flughafen und die Wechselstube hatte geschlossen. Da ich wusste, dass ich jetzt sowieso in keines meiner bevorzugten Hostels komme, da diese in der Nacht geschlossen sind, blieb mir nichts anderes übrig als auf dem Flughafen zu schlafen. Da sollte ich auch nicht der Einzige sein und die besten Plätze waren schon besetzt. Ich fand dann noch eine Bank und schlief bis zum Morgen. Das Geldproblem konnte ich leider nicht im Schlaf lösen. Aber frisch am Morgen findet sich dann doch gleich etwas. Es gibt, obwohl ich nachts mehrere Flughafenangestellte gefragte hatte, gleich vor dem Flughafengebäude einen anderen ATM. Was für Idioten arbeiten denn hier.

Chai-Pause

Ich sollte dann wirklich Geld bekommen. Auch wenn es nur große Scheine waren, die immer ein Problem beim Wechseln darstellen. Ich hatte in den letzten Monaten wildeste Geschichten über das Geldproblem in Indien gehört. Die Inder haben ja erst vor ein paar Monaten eine überraschende Währungsreform durchgeführt und haben mal schnell alle großen Geldscheine entwertet. Damit haben sie mehr als 80 % des im Umlauf befindlichen Geldes entwertet. Sie wollen etwas gegen die Korruption und den Schwarzmarkt unternehmen. Ob das geholfen hat? Normalerweise habe ich ja immer Rupien von vorherigen Reisen in der Tasche. Zum Glück hatte ich bei meinem letzten Indienbesuch nichts übrig, sonst hätte ich jetzt wohl auch entwertetes Geld gehabt.
Mit dem Taxi ging es dann in Richtung Sudderstreet, die Travellerecke der Stadt. Es war mittlerweile morgens 8 Uhr aber alle günstigen Hostels waren noch geschlossen. Die Inder sind nicht unbedingt Frühaufsteher im Gegensatz zu anderen Regionen in Asien. Um 7 oder 8 Uhr schlafen viele der Städte noch. Dann ist es schwer in einigen Hostels einzuchecken, eine Rikscha zu bekommen oder auch nur zu frühstücken bzw. einen Chai  trinken zu können. Meine Unterkunft der letzten Besuche, die Modern Lodge, ist noch geschlossen und auch sonst passiert hier in der Gegend nicht viel. So warte ich vor der Tür auf Einlass. Die Modern Lodge ist eigentlich alles andere als modern und sauber ist der Laden auch nicht wirklich, aber die Zimmer und Betten sind okay für den Preis.  Dafür gibt es eine nette Dachterrasse auf der man immer interessante Reisende trifft. Dies ist ein guter Grund hier abzusteigen. Nachdem die Modern Lodge ihre Pforten geöffnet hatte, hieß es: Alles ist voll. Aber schon beim Nachfragen stellte sich heraus, dass es doch Zimmer gibt, diese aber noch nicht geputzt wurden. So bekam ich dann doch nach einer halben Stunde ein Zimmer.
Auf dem Dach sollte ich im Laufe des ersten Tages wie erwartet ein paar interessante Reisende treffen und eine wilde Party sollte beginnen. Was für ein Start in Indien. Eigentlich war ich seit eineinhalb Tagen nonstop am Reisen von Südlaos über Thailand mit Bussen, Taxis und zwei Flügen bis hierher. Nun stolpere ich in ein wildes Fest an deren Ende wir alle nachts im Tantra Nachtclub landen. Dieser gilt als der beste Club der Stadt. Ich war schon verwundert, dass man uns überhaupt reingelassen hatte. Obwohl wir hatten uns alle vorher schick gemacht aber waren auch schon gut angetrunken. Eigentlich kostet der Club für indische Verhältnisse viel Eintritt aber von uns wollten sie kein Geld. Hier ging dann wirklich die Party ab. Auf den zwei Dancefloors wurde hauptsächlich elektronische Musik gespielt. Die Floors waren brechend voll und es wurde wild getanzt. Für indische Verhältnisse war das der Wahnsinn. Vor allem die Frauenquote war beeindruckend. Ich war schon viele Jahre nicht mehr in einem indischen Club aber früher waren das eher Männerveranstaltungen. Nur die Getränkepreise schreckten uns ein wenig ab. So sollte mein erster Abend in Indien bis in die Morgenstunden andauern. In den nächsten Tagen sollte ich es dann aber ruhiger angehen.
Ich hatte mal wieder keinen richtigen Plan für meine Indienreise. Ich wollte natürlich gut indisch essen, ein bisschen einkaufen, ein paar Bekannte besuchen und etwas Neues sehen-irgendeine neue Region bereisen. Wo das sollte noch völlig offen sein. Da war Kolkata ein guter Beginn zu mindestens für die ersten Punkte. Ich sollte gleich in der Umgebung der Sudder-Street ein paar alte Freunde wiedertreffen. Meine besten Essenstände befinden sich auch immer noch an denselben Plätzen. Es freut mich die Köche zu sehen, die mittlerweile schon seit vielen Jahren hier arbeiten. Einige von ihnen waren noch Kinder als ich die ersten Male dort gegessen haben und jetzt sind sie Erwachsene. Da fühlte ich mich sofort heimisch nach den herzlichen Begrüßungen. Lange hatte ich auf indischen Streetfood verzichten müssen und konnte jetzt nicht genug bekommen.

Ein alter Freund von mir an seinem Foodstall

Kolkata oder auch besser bekannt als Kalkutta war schon immer meine Stadt in Indien. Indien ist ein Land der Gegensätze wie sie nicht größer sein könnten und hier habe ich immer das Gefühl sind sie am größten. Die Stadt hat so etwas Familiäres und Herzliches und gleichzeitig sind die Armut und das Leid allgegenwärtig. Die Stadt spiegelt das menschliche Dasein von allen Seiten wieder. Sie ist grau, dreckig, chaotisch, verzweifelt und gleichzeitig bunt, herzlich, vornehm, intellektuell, kultiviert…. Die vielen Slums inmitten der Stadt bilden einen so starken Kontrast zu vielen schicken neuen Vierteln und den überall aus dem Boden sprießenden Shopping-Malls. Wo sieht man z.B. schon die Ärmsten der Armen direkt vor den edelsten Hotels campieren. Die Toleranz der Bevölkerung ist enorm, das Menschliche, das Herzliche in einer teils so unmenschlich wirkenden Stadt zu sehen.
Durch die Straßen laufen und sich einfach treiben lassen: Das ist Sightseeing in Kolkata für mich. Die eindrucksvollen Kontraste der Stadt auf sich wirken lassen. Ob es die wunderschöne aber auch zum Teil halb verfallene koloniale Architektur, die Tempel, Kirchen, Moscheen, Paläste sind, die gleich neben dem modernen Einkaufzentrum stehen. Das Leben auf der Straße, der chaotische Verkehr,  arm neben reich, Dreck und Glitzer all das ist Kolkata für mich. Das ist das Sehenswerte.
So genieße ich die nächsten Tage indem ich einfach durch die Stadt laufe. Meine Wege führen mich in die Gegend um den BBD Bagh, das einstige Machtzentrum der Engländer und eine wahre Schatztruhe an kolonialer Architektur. Es geht in die faszinierenden wie chaotischen Gassen von Barabazar, Old Chinatown und darüber hinaus. Mehr Leben und Chaos als hier geht eigentlich nicht. Platzangst darf man in diesen Straßen nicht haben, hier stapeln sich die Menschen und der Verkehr. Menschen über Menschen, Händler, Gepäck-Träger mit riesigen Warenkörben auf dem Kopf und Rikscha-Fahrer kämpfen um die Straße. Unzählige kleine und große Shops, Gemüse und Obst-Stände, Fressbuden alles wird verkauft und die ganze Gegend scheint ein einziger großer nicht enden wollender Marktplatz zu sein. Es ist unheimlich laut, eng und dreckig. Das ist hier alles so irre. Für mich der sich hier treiben lässt ist es total interessant-ich genieße sogar dieses Chaos. Aber wenn ich hier wohnen oder arbeiten würde, ich würde wahnsinnig werden. Man kann sich an die Menschenmassen in Indien gewöhnen aber an die Enge in diesem so lebendigen Viertel wohl eher nicht. So wandere ich in den nächsten Tagen einfach durch diese verrückte Stadt.
Der Hooghly-Fluss, es ist nur ein Seitenarm des Ganges, der durch Kolkata fließt ist auch immer einen Besuch wert. Der Fluss lädt zwar nicht wirklich zum Baden ein. Aber die Ghats am Fluss sind immer voller Leben. Die rituellen Waschungen der Hindus hier gehören zum Stadtbild. Vielen religiösen Zeremonien kann man hier beiwohnen. Dazu hat man einen guten Blick auf den Fluss mit der großen Howrah-Brücke und kann mit einer Fähre nach Howrah auf die andere Flussseite übersetzen.
In der Nähe des Flusses und der Howrahbrücke findet man den größten Blumenmarkt der Stadt. Man sagt, dass dieser farbenprächtige Markt der größte Asiens sein soll. Hunderte oder gar Tausende Händler verkaufen hier unzählige Arten von Blumen in allen Farben und Größen und Formen. Menschenmassen kommen und gehen hier gefühlt rund um die Uhr. Der Markt erstreckt sich über mehrere große und kleine Straßen und jeder freie Fleck wird von den Händlern in Beschlag genommen. Die Händler stehen inmitten riesiger Berge voller farbenprächtiger Blüten. Unzählige Körbe und Säcke voller Blumen finden auf den Köpfen der Menschen den Weg hierher .Ein wilder lautstarker Handel beginnt bevor diese Berge auch wieder auf den Köpfen der Menschen verschwinden. Das sind Dimensionen wie ich sie nicht zuvor gesehen habe. Selbst kleinere LKWs voller bunter Blumen finden ihren Weg durch die Massen. Unvorstellbar große Mengen dieser in allen Farben leuchtenden Blumen wechseln hier täglich ihre Besitzer. Hier werden nicht nur lose und säckeweise Blumen verkauft. Unzählige Händler binden Sträuße, flechten Blumenketten und arrangieren Blumengestecke. Hier kann man viele Stunden verbringen und dem Treiben zuzuschauen.
In meinem Guest House lernte ich im Laufe der Tage zwei lustige Reisende kennen. Wir beschlossen zusammen in die Sundarbans zu reisen. Das sind die größten Mangrovenwälder der Welt im größten Flussdelta der Welt. Dazu dann beim nächsten Mal.